Partnerklasse
„Unsere Schüler*innen unterstützen sich gegenseitig“
ein Interview mit Frau Brüderl von der Partnerklasse
Nachdem die Partnerklasse jetzt schon das dritte Jahr bei uns an der Schule ist, wollten wir diese noch besser kennenlernen und haben etwas genauer nachgefragt. Dafür hat sich Frau Brüderl, eine der beiden Lehrerinnen der Partnerklasse, für ein Interview zur Verfügung gestellt. Im kommenden Schuljahr wird es eine weitere Partnerklasse am JHG geben.
JOpinion: Was ist das Wilhelm-Löhe-Zentrum?
Frau Brüderl: Das Wilhelm-Löhe-Zentrum in Traunreut besteht aus drei Teilen. Es gibt die Schule, die man auch Förderzentrum nennt. Sie ist nochmal in zwei Arten unterteilt: die Schule mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ und die Schule mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“. (Anmerkung der Redaktion: Die Schüler*innen der Partnerklasse sind aus dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung.) In der Schule ist dann auch noch eine Art Kindergarten integriert, der mit drei Jahren besucht werden kann. Dieser Kindergarten heißt „Schulvorbereitende Einrichtung“. Im Wilhelm-Löhe-Zentrum gibt es aber nicht nur die Schule, sondern auch eine „Heilpädagogische Tagesstätte“ wo die Kinder und Jugendlichen nach der Schule hingehen können. Dort essen sie zu Mittag, machen ihre Hausaufgaben, haben verschiedene Therapien und bekommen dort auch Freizeitangebote, wie die Teilnahme an einer Hipp-Hopp-Gruppe oder an einer Fußballmannschaft. Es gibt aber im Wilhelm-Löhe-Zentrum auch ein Heim, in dem Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung, Kinder mit Lernbehinderungen oder aber auch Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, traumatisierte Kinder und auch einige Flüchtlingskinder wohnen. Sie können dort ab einem Alter von fünf Jahren aufgenommen werden.
JOpinion: Was mögen Sie an Ihrem Beruf und was fällt Ihnen schwer?
Frau Brüderl: Ich mag meinen Beruf, weil er wahnsinnig vielfältig ist und weil man immer etwas Neues erlebt, da unsere Schüler*innen sehr verschieden sind. Man lernt bei uns nicht in der ersten Klasse lesen und schreiben, wie ihr das von der Schule kennt, sondern das Thema wie „Buchstaben lernen“ und „im Zahlenraum bis 10 rechnen“ begleitet uns im Wilhelm-Löhe-Zentrum manchmal auch viele Jahre lang. Aber man hat auch andere Schüler*innen, die schon das Einmaleins beherrschen und mit dreistelligen Zahlen addieren und subtrahieren können, also ist die Bandbreite sehr groß und das finde ich spannend. Was ich auch sehr an meinen Beruf mag, ist, dass die Arbeit mit jeder neuen Klasse auch komplett anders ist und man sich darauf immer wieder neu einstellen muss. Außerdem kann man vielfältig arbeiten, da man immer alle Fächer abdeckt. Wir unterrichten ja alle Fächer wie z.B. Mathe, Deutsch, Sachunterricht, Werken, Hauswirtschaft, Musik und Sport. Das finde ich sehr schön. Da die Schüler*innen, die in der Partnerklasse am JHG sind, oft etwas fitter sind, als die Schüler*innen, die am Wilhelm-Löhe-Förderzentrum sind, könnt ihr euch das vielleicht gar nicht so gut vorstellen, aber im Förderzentrum sind oft auch Kinder, die eine schwere Mehrfachbehinderung haben. Diese sind aber in derselben Klasse wie jemand, der schon gut lesen und schreiben kann und der auch schon relativ fit in Mathe ist. Das andere Kind kann aber nicht sprechen, oder nicht selbstständig nach etwas greifen, und das alles unter einen Hut zu bringen ist manchmal schwierig. Man hat ja auch ca. 10 verschiedene Kinder und man möchte für jeden etwas Passendes haben und jeden auch fördern und weiterbilden. Das ist manchmal schwierig, aber auch sehr spannend.
JOpinion: Da das Leistungsniveau in Ihrer Klasse unterschiedlich ist, wie beschäftigen Sie dann alle gleichzeitig?
Frau Brüderl: Zum Teil bekommen alle einen unterschiedlichen Arbeitsauftrag. Man versucht das dann immer zu differenzieren. Wir haben manchmal auch das Glück, dass wir unsere Klasse in einer Stunde teilen können, sodass es dann z.B. in Mathe eine schwächere und eine fittere Gruppe gibt. Das geht sehr gut, weil wir in dieser Stunde zu zweit in der Klasse sind. Ansonsten macht man z.B. ein Arbeitsblatt, das individuell umgestaltet ist. Der eine kann z.B einen Lückentext ohne Hilfe ausfüllen, für den anderen sind Wörter angegeben, wo er nachschauen kann, was passen könnte. Wieder ein anderer hat dann vielleicht vorbereitete Felder, die er ausschneiden und aufkleben kann, weil er Schwierigkeiten mit dem Schreiben hat. So ist das Thema an sich eigentlich gleich, aber doch für jeden einzelne*n Schüler*in machbar. Aber auch mit Freiarbeitsmaterial wird oft und viel gearbeitet. Zum Beispiel hat man dann in Mathe Material, das ganz einfach ist. Da wird noch gar nicht mit Zahlen gearbeitet, sondern man muss Formen zuordnen, wie zum Beispiel: Kreis zu Kreis und rot zu rot. Der andere hat aber vielleicht schon eine Hundertertafel, die er mit Steinen belegt. Wieder ein anderer hat eine Klammerkarte mit Einmaleins-Aufgaben. Da kann man total schön differenzieren. In Fächern wie Sport oder Werken brauchen einfach manche mehr Hilfestellung und andere weniger. Oft unterstützen die Schüler*innen sich auch gegenseitig, sodass die Fitteren den Schwächeren helfen. Manchmal haben Schüler*innen, die sehr viel Unterstützung brauchen auch eine Schulbegleitung, die ihnen hilft.
JOpinion: Geben Sie Ihren Schüler*innen auch mündliche und schriftliche Noten?
Frau Brüderl: Noten gibt es bei uns gar nicht. Unsere Schüler*innen bekommen zwar auch ein Zeugnis, das besteht aber nur aus Text, wie man das auch aus der Grundschule kennt. Noten gibt es nicht, weil es ganz schwierig ist, die Leistung zu bewerten. Für den einen ist es vielleicht supertoll, wenn er herausfindet, dass 3+5=8 ist, für einen anderen ist das allerdings schon sehr einfach, da er schon im 1000er Bereich rechnen kann. Das ist dann schwierig. Aber unsere Schüler*innen wissen, dass es eigentlich normal ist, Noten zu bekommen, und wünschen sich das auch oft. Manchmal schreiben wir dann auch so eine Art benoteten Test, weil sie sich dann furchtbar freuen und stolz sind, wenn sie ihren Eltern dann zeigen können, dass sie heute eine Note bekommen haben.
JOpinion: Wie wählen Sie die Schüler*innen aus, die ans JHG kommen?
Frau Brüderl: Wir schauen natürlich, dass die Klasse gut miteinander auskommt und gut zusammenpasst. Außerdem versuchen wir zu berücksichtigen, dass es ein nicht zu schwerbehindertes Kind ist, weil dieser Schüler im Löhe-Förderzentrum viel besser aufgehoben ist, da es dort spezielle Räume wie Wahrnehmungsräume gibt. Wir schauen auch, dass es keine Kinder sind, die sehr laut sind. Außerdem sollten die Schüler*innen altersmäßig zusammenpassen, denn auch wenn sie kognitiv auf einem unterschiedlichen Stand sind, verändern sich ihre Interessen altersentsprechend.
JOpinion: Was ist für Ihre Klasse anders, wenn sie im JHG unterrichtet wird?
Frau Brüderl: Für die Schüler*innen macht es einen Unterschied, weil sie natürlich, wenn sie hier am JHG in der Pause sind, nicht den Anschluss haben, den sie am Förderzentrum hätten. Dort haben sie auch Freunde und kennen sich untereinander, vielleicht vom Busfahren oder aus der Tagesstätte an der Salzburger Straße. Unsere Schüler*innen der Partnerklasse sind mehr auf sich selbst gestellt und weniger mit den anderen Klassen vernetzt. Aber dafür haben wir den Kontakt zum JHG und kriegen da ganz viel mit. Was auch schon eine spannende Erfahrung ist, wenn man zusammen Sport macht oder von einer Französischklasse eingeladen wird. Das ist für uns auch eine tolle Erfahrung, die wir im Wilhelm-Löhe-Zentrum so nicht hätten. Im Gegensatz dazu haben die Kinder weniger das Freundschaftliche, das sie im Förderzentrum hätten. Im Gegensatz dazu haben die Kinder in der Salzburger Straße nicht die Erfahrungen, die die Kinder hier haben. Ich habe auch ein bisschen das Gefühl, dass sie sich freuen, wenn sie auf das Gymnasium gehen, da das schon ein bisschen „cool“ ist. Wir gehen aber trotzdem für bestimmte Sachen ins Förderzentrum, zum Beispiel als der Nikolaus bei den Alpakas kam, ins Schülercafé oder an die Kletterwand. So bleibt der Kontakt, weil sie sich dann in der Berufsschul-Stufe auch wieder treffen.
JOpinion: Fühlen Sie sich in der Schulgemeinschaft des JHGs wohl?
Frau Brüderl: Wir fühlen uns sehr wohl. Wir beiden Lehrkräfte sind ja jetzt das zweite Jahr hier am JHG und haben leider auch zwei blöde Jahre erwischt, wo einfach viel coronabedingt eingeschränkt war, aber wir haben uns sofort sehr gut aufgenommen gefühlt. Im nächsten Schuljahr gibt es ja noch eine zweite Partnerklasse, so ist die Klasse weniger auf sich alleingestellt und hat auch eine „gleichgesinnte Klasse“, aber trotzdem auch noch den Austausch mit dem JHG. Auch von dem Kollegium wurden wir ganz toll aufgenommen, das auch immer versucht, uns miteinzubeziehen, egal ob das jetzt ein P-Seminar ist oder ob wir in den Unterricht eingeladen werden, um gemeinsam etwas zu machen, wie beispielsweise Musik oder Sport. Außerdem kommen wir in die Klassen, wenn sie Vertretungsstunden haben und spielen gemeinsam Spiele, was unseren Schüler*innen sehr viel Spaß macht. Und am Wandertag sind wir immer gemeinsam mit einer Klasse vom JHG unterwegs.
JOpinion: Würden Sie sich wünschen, dass man öfter etwas mit der Partnerklasse macht?
Frau Brüderl: Gerade ist es wegen Corona leider etwas schwierig, aber ich würde mir schon zum Teil wünschen, dass man noch etwas mehr mit den Schüler*innen der Partnerklasse unternimmt. Gerade auch in den Pausen, wäre es sehr schön, wenn wir ein bisschen mehr Anschluss hätten. Wir haben auch schon überlegt, wie wir das machen könnten, zum Beispiel, dass man etwas gemeinsam spielt. Egal ob man jetzt ein einfaches Ballspiel macht oder aber die Frisbees oder Fußball spielt. Das wäre schon schön, und ich glaube, das würde unseren Schüler*innen total gut gefallen. Auch, dass man sich in den Vertretungsstunden sich wieder öfter bei uns meldet und eine Spielestunde veranstaltet, würde mir sehr gefallen. Diese Stunden sind sehr schön und ich glaube, dass unsere Schüler das sehr freuen würde.
JOpinion: Was machen Ihre Schüler*innen nach dem Abschluss?
Frau Brüderl: Viele Schüler*innen aus dem „Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung “ gehen in eine Werkstatt zum Beispiel in die Werkstätten der Lebenshilfe in Traunreut. Dort gibt es ganz unterschiedliche Tätigkeiten von ganz einfachen Arbeiten, wie drei Filtertüten für die Kaffeemaschine abzählen, bis zu einer KFZ-Werkstatt, in der Autos repariert und Reifen gewechselt werden. Es gibt auch eine Gärtnerei und eine Schreinerei. Aber auch hauswirtschaftliche Arbeiten - wie in der Küche zu werken - werden von vielen Schüler*innen ergriffen. Es gibt auch die Möglichkeit in eine Jugendsiedlung zu gehen, um verschiedene Berufe kennenzulernen und einen Helferberuf zu erlernen.
JOpinion: Wie managen Sie die Coronasituation?
Frau Brüderl: Bei uns gibt es, genauso wie bei euch, Homeschooling. Da unsere Schüler*innen schon sehr selbstständig arbeiten können, sind wir eine sehr, sehr fitte Klasse für den Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“. Deshalb können wir zweimal am Tag eine Videokonferenz machen, also sind die Schüler immer um 8 Uhr und um 11 Uhr täglich in einer Konferenz. Wir schicken Materialpakete, die verschiedene Arbeitsblätter für die nächsten zwei Wochen beinhalten. Da wir leider keine Schulbücher zur Verfügung haben, müssen wir auf Arbeitsblätter zurückgreifen. Wir benutzen auch MS Teams. Zum Beispiel in Musik singen wir auch während der Videokonferenz und in Sport machen wir auch Sport vor dem Computer. Was allerdings etwas schwierig ist, sind Fächer wie Werken, da man einfach keine Hilfestellung geben kann, die aber bei praktischen Aufgaben oft nötig wären. Auch das Differenzieren im Unterricht ist deutlich schwerer wie vor Ort in der Schule. Und unsere Schüler*innen lernen sehr ganzheitlich, das heißt mit viel Material um Inhalte im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen, das ist natürlich in der Homeschooling-Situation auch sehr schwierig. Anders als bei euch schalten alle die Kamera an. Man merkt, dass es jetzt viel schöner ist als vor einem Jahr, als wir noch keine Videokonferenzen hatten, sondern die Schüler*innen nur Arbeitsaufträge bekommen haben. Da unsere Schüler*innen zum Teil sehr weit voneinander entfernt wohnen, können sie sich nicht einfach mal so treffen und sind teilweise schon sehr einsam und vermissen sich sehr. Deswegen ist es total schön, dass man sich wenigstens zweimal am Tag sehen und etwas über sich erzählen kann. (Anmerkung der Redaktion: Das Interview entstand noch während der Homeschooling-Phase)
Vielen Dank an Frau Brüderl für dieses interessante Interview!
Das Interview führte Marlene Schultes, das Foto stammt von Johanna Brantsch