WM-Spezial

Fussball hat kein Geschlecht

Frauenfußball. Alleine bei diesem einen Wort schaffen es einige jetzt schon, gelangweilt die Augen zu verdrehen. Anderen liegt ein dummer Spruch auf der Zunge. Wie kann das nur zu unserer angeblich so emanzipierten Gesellschaft passen?

„Was ist es denn? Ein Junge? Oh wie schön, dann kann er später mal mit seinem Bruder Fußball spielen!“ Na, kommt dir das bekannt vor? So oder so ähnlich haben viele diese Aussage wohl schon einmal gehört. Jetzt lies das Ganze noch einmal und ersetz den Jungen durch ein Mädchen. Klingt das komisch? Wenn du nun den Kopf schüttelst und dich fragst, was daran komisch sein soll: Herzlichen Glückwunsch, du hast es offenbar geschafft, dich dem Einfluss unserer vorurteilverseuchten Gesellschaft weitestgehend zu entziehen. Aber ich muss dich enttäuschen. Es werden sich nämlich genügend Leute finden, die dir sofort erklären können, dass sich der Satz vollkommen absurd anhöre.

Ein Mädchen, das Fußball spielt. Daraus wird doch eh nichts. Fußball ist schließlich ein Männersport, man muss ja nur mal einen Blick in die Medien werfen. Wo wird die Frauenbundesliga gleich noch mal übertragen? Genau, keine Ahnung! Und warum berichten die Zeitungen eigentlich so wenig über die Spiele? Ist doch klar. Wenn das Interesse nicht da ist, ist auch die Berichterstattung irgendwie unnötig. Und wieso sollte man sich auch für Frauenfußball interessieren? Ist doch eh langweilig. Wie Amateursport, nur in Zeitlupe…

Frauenfußball sei langsamer als Männerfußball, weniger dynamisch, es mangle an Kraft und insgesamt sei einfach wenig Sehenswertes dabei. Das sind die Standard-Antworten, die man auf die Frage erhält, was genau denn so langweilig sei. Wenn man vergleicht, wie Männer und Frauen Fußball spielen, gibt es natürlich Unterschiede, keine Frage. Und damit sind nicht nur die fehlende Unterstützung durch die Gesellschaft gemeint, sondern auch die immer noch zu häufigen sexistischen Klischees und Kommentare, mit denen weibliche Fußballerinnen deutlich häufiger konfrontiert sind als ihre männlichen Kollegen.

Nein, abgesehen davon kann man nicht abstreiten, dass es Unterschiede im Spiel gibt, die zu einem großen Teil in den körperlichen Voraussetzungen begründet sind. Die physikalischen Formeln zur Berechnung der Schussgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Masseverhältnis von Ball und Fuß erspare ich euch an der Stelle. Dass Frauen im Normalfall nicht dieselbe Schusskraft und Geschwindigkeit wie Männer aufbringen können, werden vor allem diejenigen unter euch, die eh schon wenig oder gar nichts von Frauenfußball halten, wohl sowieso nicht bestreiten (und wer jetzt auch nur einen Witz reißen will, der den Ausdruck „schwaches Geschlecht“ beinhaltet: verkneif ihn dir einfach).

Die Frage ist jedoch: Ist das nicht in jeder Sportart so? Die anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau liegen doch nicht am Fußball. Aber hat jemand von euch schon ein einziges Mal zu hören bekommen: „Frauentennis? Nein, das schau ich mir nicht an, viel zu langweilig. Ich interessiere mich nur für die Herren.“ Wahrscheinlich eher selten. Alleine schon der Begriff „Frauentennis“. Das hört sich doch vollkommen lächerlich an. Schon eigenartig, dass wir dann immer von „Frauenfußball“ reden, witzigerweise aber nicht von „Männerfußball“. Da reicht dann wieder die einfache Bezeichnung „Fußball“, es weiß schon jeder, was gemeint ist…

Was beim Fußball (abgesehen von den „Besonderheiten“ in den Begrifflichkeiten) anders ist als bei vielen anderen Sportarten, ist, dass für Männer und Frauen dieselben Regeln gelten: gleiches Feld, gleiche Spielzeit, gleicher Ball etc. Unterschiedliche körperliche Voraussetzungen, gleiche Regeln - eigentlich logisch, dass es dann zu Unterschieden im Spiel kommt. Aber ist das so schlimm? Vielleicht sollten wir, anstatt ständig zu vergleichen, was die Frauen angeblich so viel schlechter können als die Männer, diese Unterschiede einfach mal akzeptieren und den Frauenfußball endlich als gleichberechtigte Sportart ansehen. Aber von der gleichen Wertschätzung können wir leider noch lange nicht sprechen. Nicht bei Vergleichen mit „Formel-1-Rennen, wo mit 80 km/h auf der Geraden gefahren wird“ oder Aussagen wie „Das ist, wie wenn man Skifahren anschauen will und dann fahren alle bloß die blaue Piste runter“. Wow. 1:0 für den schlechten Humor. (Und nein, diese Vergleiche sind leider nicht nur erfunden…)

Natürlich, es hat sich in den letzten Jahren viel getan. Vor gut 50 Jahren war es für Frauen in der Bundesrepublik Deutschland noch gesetzlich verboten, Fußball zu spielen. Eine erschreckende Vorstellung, nicht wahr? Als es Frauen dann gnädigerweise auch einmal erlaubt wurde, den Sport auszuüben, dauerte es gar nicht so lange, bis die deutsche Nationalmannschaft die EM 1989 gewann. Und was erhielten sie als Prämie? Nein, weder eine angemessene Geldsumme noch den Respekt, den sie verdient hätten. Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft bekam ein Kaffee-Service. Zum EM-Sieg! Als wäre es nicht einer der wichtigsten zu erreichenden Titel überhaupt, sondern der Geburtstag der Oma. Zum Vergleich: Die männliche Nationalmannschaft erhielt zum WM-Sieg 1990 umgerechnet über 64.000 € - pro Person, versteht sich. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. An der Meinung, Fußball sei eine Männersportart, hat sich leider bei einigen (um nicht zu sagen: viel zu vielen) nur wenig geändert. Es ist eben nach wie vor etwas Neues, etwas Anderes als das, was unsere Gesellschaft gewohnt ist. Und fast alle Leute haben Vorurteile oder sogar Angst vor Dingen, die neu und anders sind. An alle da draußen, die nach wie vor behaupten, Frauenfußball sei kein richtiger Fußball: Habt ihr Angst vor kickenden Frauen? Ich schätze nicht. Was hält euch dann auf, Fußballerinnen endlich die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdienen?

Sind wir mal ehrlich: Die geschlechterspezifischen Klischees und Rollenbilder sind bei Weitem kein Problem, das auf den Sport beschränkt ist. Ganz im Gegenteil, es ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Wie oft habt ihr schon den Satz gehört: „Können mal schnell zwei starke Männer helfen und die Bücher rüber tragen?“ Und das, obwohl die Bücher nicht einmal schwer wären und Frauen sie genauso gut tragen könnten. Von den wirklich schwerwiegenden Ungerechtigkeiten wie ungleicher Bezahlung in verschiedensten Berufen einmal ganz zu schweigen. Ja, in Deutschland herrscht offiziell Gleichberechtigung der Geschlechter. Inoffiziell sieht das noch mal ganz anders aus und viele Frauen sehen sich immer noch mit der Pflicht konfrontiert, für ihre Rechte zu kämpfen, um sie auch wirklich zu erhalten.

Und wer jetzt behauptet, es gäbe keine Nachteile für Frauen durch Vorurteile und veraltete Klischees: Hört doch bitte auf, die Augen vor den Problemen der Gesellschaft zu verschließen. Ihr schießt euch damit nur selbst ein Eigentor, dadurch verschwinden die Probleme nämlich nicht, sondern werden - wer hätte es gedacht - nur verstärkt. Augen zu und durch funktioniert hier ungefähr genauso gut, wie wenn man versucht, mit zusammengebundenen Schnürsenkeln einen Elfmeter zu schießen. Wir sind doch nicht mehr im Kindergarten, wo es beim Versteckenspielen gereicht hat, die Augen zu zu machen und zu denken, man sei gut genug versteckt, schließlich sieht man die anderen ja auch nicht. Gleichberechtigung beginnt im Kopf. Und solange Mädchen und Frauen eingeredet wird, sie könnten etwas nur aufgrund ihres Geschlechts nicht, haben wir definitiv noch einen sehr weiten Weg vor uns.

Versteht mich nicht falsch. Es geht mir nicht darum, dass jedes Mädchen einem Fußballverein beitreten soll. Es geht mir auch nicht darum, dass ab heute jeder die Frauenbundesliga im Fernsehen verfolgen muss. Mir geht es um Wertschätzung. Bevor ihr das nächste Mal sagt: „Frauenfußball kann mit Männerfußball sowieso nicht mithalten“, überlegt: „Muss er das denn überhaupt?“ Frauen können aufgrund der körperlichen Unterschiede nicht genauso wie Männer Fußball spielen. Aber genauso wenig können Männer wie Frauen spielen. Vielleicht macht gerade das den Reiz aus: Dass es eben nicht den Anspruch hat, exakt das Gleiche zu sein.

Fußball ist die beliebteste Sportart der Welt. Er hat die Macht, Menschen zusammenzubringen und zu vereinen. Und damit sind Menschen eines jeden Geschlechts gemeint. Es ist Zeit, das Image vom Fußball als Männerdomäne zu beenden. Denn Fußball hat kein Geschlecht. Darum erkennt erst einmal den Frauenfußball als das an, was er ist: ein Sport, der genauso viel wert ist wie Männerfußball. Die Spielerinnen trainieren genauso hart, geben genauso viel und gehen genauso bis an ihre Grenzen. Alleine schon deshalb haben sie es verdient, auch mit demselben Respekt behandelt und nicht ständig belächelt zu werden. Dies wäre einer von vielen längst notwendigen Anstößen für eine emanzipierte Gesellschaft.

Ein Kommentar von Laura Einsiedl