Mördergeschichten
Jeder kann zum Mörder werden
In diesem Jahr haben sich die Deutsch-Kurse der Q12 gefragt, ob jeder zum Mörder werden kann. Nicht nur die „typischen“ Killerfiguren aus Büchern mit ihren „üblichen“ Motiven, sondern vielleicht auch ganz durchschnittliche Menschen wie Schüler*innen? Vielleicht braucht man unserer Meinung nach nur den richtigen Grund, um diesen nicht rückgängig zu machenden, schrecklichen Schritt in die Kriminalität zu gehen. Mögliche Ursachen können vielfältig und unvorhersehbar sein. Doch lest selbst und lasst euch mit Hilfe dieser Kurzgeschichten der Q12 in die dunkle Gedankenwelt von Mördern entführen. (Um die Identität der Autoren*innen zu schützen, wurden ihre Namen geändert.)
Paul Berger – die Biografie eines Mörders
Das Jahr 2020: Paul Berger, ein 17-jähriger Schüler des Chiemgau-Gymnasiums in Traunstein, hat gerade sein Abitur bestanden. Er wächst in Siegsdorf auf, sein Vater arbeitet als Anwalt in der internationalen Kanzlei Berger & Smith in München und ist nur am Wochenende zuhause, seine Mutter ist halbtags Versicherungsvertreterin in Traunstein. Bergers ältere Schwester absolviert zurzeit ein juristisches Auslandsstudium in London, um später in die Kanzlei ihres Vaters einzusteigen, und auch Berger selbst zeichnet sich als hervorragender Schüler aus und bekommt sogar ein akademisches Stipendium für sein Studium in England angeboten. Er hat die vorherigen Jahre bereits in den Ferien in einem Altenheim in Traunreut, dem PurVital, ausgeholfen und entscheidet sich deshalb dafür, sich vor seinem Studium für ein FSJ in der ASB Traustein zu bewerben. Sein Stipendiumsplatz kann um ein Jahr aufgeschoben werden.
19. März 2021: Bergers Vater befindet sich gerade auf Geschäftsreise, er betreut einen wichtigen Klienten in London und seine Schwester steckt in der Hochphase ihres Studienabschlusses.
Berger ist zum 18. Geburtstag einer guten Freundin, Louisa Freimann, eingeladen. Diese sagt später aus, es sei reichlich Alkohol geflossen und auch Berger sei nicht mehr nüchtern gewesen. Er habe, so einige Aussagen, die Feier gegen halb drei Uhr verlassen, wobei ihn ein paar Freunde begleitet hätten.
Gegen drei Uhr nachts erreicht Paul Berger sein Haus. Die Türe steht offen, von innen dringen Geräusche nach außen. Als er das Haus betritt, wird er Zeuge einer Tat, die das ganze Leben der Familie für immer verändern wird. Aus seinem persönlichen Tagebuch, das er auf psychologische Anordnung hin führen sollte, schrieb er:
Als ich das Haus betrat, ist mir zuerst die umgefallene Vase aufgefallen. Ich habe mich gewundert, denn meine Mutter hütete diese Vase für gewöhnlich wie einen Schatz. Nicht einmal die Scherben hatte sie weggeräumt. Plötzlich habe ich ein Wimmern aus dem Wohnzimmer gehört. Es klang wie meine Mutter, es klang als wäre sie verletzt. Ich bin in das Zimmer gerannt und ich sah wie [vermeintlich] K. Bäumer sie gerade losließ. Meine Mutter ist blutend und weinend auf dem Boden gelegen. Er hat sein Gesicht in meine Richtung gedreht, aber sobald er mich gesehen hat, ist er schnell geflüchtet. Ich konnte ihn nicht mehr einholen.
Dank der präzisen Aussage Pauls konnte sehr schnell der Tatverdächtige K. Bäumer festgenommen werden. 2022 kam es zum Prozess. Doch bei einer Überprüfung der Zeugenaussagen wurde festgestellt, dass sich Paul Berger an diesem Abend unter Alkoholeinfluss befunden hatte. Seine Zeugenaussage wurde vom Gericht als ungültig erklärt. Da am Tatort keine Spuren gesichert werden konnten, die einer Person zuzuordnen waren, wurde K. Bäumer im Juli 2022 aufgrund mangelnder Beweislast freigesprochen.
Paul Bergers Mutter musste zu diesem Zeitpunkt bereits rund um die Uhr betreut werden. Da sein Vater weiterhin international tätig war und seine Schwester sich gerade in ihrer Einarbeitungsphase befand, übernahm Paul diese Aufgabe. Sein Studium musste er erneut aufschieben, er verlor sein Stipendium. Freunde sagen aus, dass er sich bereits zu dieser Zeit stark zurückgezogen habe. Auch eine ehemalige Arbeitskollegin, Pia Thurn, erzählt, dass er immer weniger zur Arbeit erschienen sei, und wenn er mal da war, dann sei er zu spät gekommen und zu früh wieder gegangen. Ende September wird ihm gekündigt und auch bei seiner Mutter zeigt sich keine Aussicht auf Besserung.
Oktober 2022: Ein weiterer Schlag trifft die Familie. Bergers Mutter wird nach einem Suizidversuch in die psychiatrische Klinik eingewiesen. Berger selbst stürzt vollkommen ab. Nachbarn beschreiben, man habe nachts Schreie gehört, er habe regelmäßig Alpträume gehabt, sei dauerhaft unter Alkoholeinfluss gestanden. „Man hätte es kommen sehen sollen“, so eine Bekannte aus Siegsdorf über Bergers Entwicklung.
25. Dezember 2022: K. Bäumer wird Tod in seiner Wohnung aufgefunden. Die Gerichtsmedizin stellt die Todesursache schnell fest: zunächst Betäubung durch Morphium, dann ein Stich in die Kehle mit einem Schürhaken. Die Kripo ermittelt. Schnell wird die Tatwaffe zu Paul Berger zurückverfolgt, er wird als Tatverdächtiger festgenommen. Nach Aussage einer Angestellten der ASB stellt sich außerdem heraus, dass sich Berger am Vortag noch einmal im Altenpflegeheim befunden hatte. Die Angestellte habe es, nach eigenen Angaben, der Hausverwaltung gemeldet, zu dem Zeitpunkt sei Berger jedoch schon weg gewesen.
2023: Paul Berger, 20 Jahre alt, wird des Mordes an K. Bäumer angeklagt.
Von Anonymus 1 und Anonymus 2
2. Anna
Anna. 22 Uhr. Einen weiteren grauen Novembernachmittag verbrachte sie allein auf der kleinen Holzbank an der Spree, wie immer mit zwei Schachteln Marlboro Gold in der Jackentasche und der Kreuzkette zwischen den Fingern. Sie philosophierte über ihr Leben als Theologiestudentin in Berlin.
Glücklich war sie nicht, das war nicht zu übersehen. Stumpf starrte sie mit ihren kühlen, toten Augen auf die Spree und hoffte, dass kein Mensch sich ihrer Bank auch nur näherte. Gefühlskalt. Einsam. Das war Anna. Und so verloren in ihren Gedanken, erinnerte sie sich zurück an ihre Schulzeit auf diesem ranzigen, alten Gymnasium in einem oberbayerischen Kaff. Und an die Lehrer, bei denen sie als Engel der Schule galt. Sie war eine Musterschülerin. Ein bayerisches, blondes Mädchen, ihre Eltern sehr strenge Immobilienmakler. Sie war im Karateverein des Dorfes und auch im örtlichen Schützenverein aktiv. Jeden Sonntag besuchte sie den Gottesdienst im nächstgelegenen Ort, sie glaubte an den da oben. Es war ein guter Ort, einer, an dem sie festhalten und sich ausruhen konnte von der Schnelligkeit des Lebens. Offen für zwischenmenschliche Beziehungen war sie nie gewesen, weshalb sie trotz ihres großen Freundeskreises keine wirklich engen Freunde hatte. Eine Einzelgängerin eben. Ihr perfektes Image wurde lediglich durch die heimlichen Hüttenpartys bei den Jungs und Mädels im Nachbarsdorf gestört. Alkohol trank sie nie. Sie saß einfach nur da. Allein.
Und je länger sie so vor sich hin philosophierte, desto mehr fiel ihr auf, dass sich an ihrer Situation eigentlich nichts geändert hatte, außer ihr Alter und ihr Wohlstand, der eigentlich vollkommen verschwunden war. Aber auch ihr seelischer Zustand, der in den Abgrund zu stürzen schien.
Allmählich wurde ihr kalt, auf ihrem Handy sah sie die Uhrzeit, 23 Uhr.
19 Jahre alt war sie heute geworden. Kein Anruf. Kein Brief. Keine WhatsApp-Nachricht. Keine Glückwünsche. Nichts. Wie denn auch?! Den Kontakt zu ihren Eltern hatte sie schon vor Ewigkeiten abgebrochen. Die wollten immer nur die Geschäftsübergabe an ihre so perfekte Tochter Anna erreichen. Und jetzt studierte sie Gott. Und seine Gesetze. Dabei schien es so, als würde er gerade ihr oftmals nicht zur Seite zu stehen.
Vor einem Jahr kam sie hierher, nach Berlin. Ein 1,1 Abi ermöglichte ihr einen sofortigen Studienplatz an der Humboldt-Universität. In einer Pizzeria musste sie arbeiten, um genug Geld für das Bezahlen ihrer Miete zu verdienen. Sie lebte in einer WG. Dort hatte sie ein Zimmer, naja besser gesagt ein halbes. Das Zimmer war dauerhaft mit Sachen ihrer anderen Mitbewohner zugestellt, weil nur noch hier Platz war. Sie hasste die anderen. Michi, der 21-jährige Medizinstudent, war mit Christina aus dem Nebenzimmer, 18 Jahre alt, ebenfalls Theologiestudentin, zusammen. Man hörte die beiden jede Nacht. Wenn sie schliefen, dann miteinander. Ali, der älteste, 23, studierte BWL und hatte ständig Besuch. Sämtliche laut feiernde Party- Gäste nisteten sich, gemeinsam mit den Shishas und dazugehörigem Sortiment, in der WG ein. Sein Ego war so groß, dass er keinen Respekt vor anderen hatte. Der selbsternannte „Boss“. Und dann war da noch die stille Sydney, 21, aus Amerika, die nicht mal Deutsch konnte. Die nur für zwei Auslandssemester hier in Berlin war (schlechte Entscheidung). Verständlich, dass Anna sich kaum in der Wohnung aufhielt.
Als würde das alles nicht genügen, kam einige Monate später noch hinzu, dass das Traumpaar der WG wohl in schlechte Kreise gekommen war und angefangen hatte, Drogen zu nehmen. Abends war deshalb oft die Polizei vor der Tür und befragte jeden Mitbewohner, ob irgendjemand etwas davon mitbekommen hätte.
Und so vergingen Wochen und Monate und mit der Zeit bekam Anna es nicht mehr auf die Reihe, alles zu koordinieren. Das Studium, der Job, ihre WG, ihr Wohlbefinden. Die Überforderung zeigte sich als Erstes an ihrem Körper. Die Farbe ihres schönen Gesichtes verblasste allmählich und verschwand dann ganz. Ihre sportliche Figur verwandelte sich in eine magere, ausgelaugte Silhouette, die immer schmaler und kränklicher wurde. Unbewusst unterstütze Anna diesen Prozess. Sie begann zu rauchen. Schlimmer konnte die Situation kaum noch werden. Die Noten gingen den Bach runter, es schien ihr, als würde sie sich nicht mehr kontrollieren können, als würde sie eine Spielfigur in einem riesigen Raum sein. Aus dieser Verzweiflung heraus brach sie das Studium ab. Und sie bereute es keine Sekunde. Natürlich kam es auch zu gravierenden Nebenwirkungen ihrer Veränderung. Und so verlor sie das Vertrauen in Gott, dem sie jahrelang bewusst gefolgt war, ihrem einzigen echten Freund und Begleiter. Doch sie verlor ihren Glauben und wandte sich von Gott einfach ab. Das alles passierte ganz unbewusst.
Anna sah es später als Strafe Gottes, dass sie aus der WG geworfen wurde. Das war in Wirklichkeit aber nur die Reaktion des Vermieters auf unbezahlte Rechnungen. So zog Anna am Tag vor ihrem 20. Geburtstag nach Kreuzberg.
Kreuzberg. Ein Viertel Berlins, in das Anna wohl niemals ziehen wollte. Sie verstand sich ja selber nicht. Es war, als befände sie sich in einem Traum. Anna arbeitete jetzt vormittags in einer Bäckerei in der Nähe ihrer Wohnung, abends in einer Pizzeria. Hätte sie nicht so viel geraucht, wären sogar ein paar Euro zusammengekommen. Aber wie gesagt, HÄTTE sie. Die Zigaretten schienen das einzige in Annas Leben zu sein, das nicht weglief, sich nicht änderte. Wenn sie morgens um 5 Uhr aufstand, wusste sie genau, die halb leere Schachtel Marlboro Gold liegt auf dem kleinen Holztisch auf ihrem Balkon an der Südseite ihrer Wohnung. Und wenn sie nachts heimkam, lag diese Schachtel unangerührt am gleichen Platz. Zwar mit einer Zigarette weniger, aber sie war da. Und daran hielt Anna fest.
Die ganze Situation änderte sich, als dieser attraktive, junge, reiche Mann im Haus gegenüber einzog. Warum er nach Kreuzberg kam, sich in eine Wohnung zurückzog und einen brandneuen, schwarzen Porsche Panamera unten an der Straße stehen ließ, blieb ein Geheimnis. Nächtliche Beobachtungen von Annas Balkon aus, brachten sie leider auch nicht weiter. Es vergingen Monate, stressige Zeiten, Filme. Sie fühlte sich wohl in ihrer Einsamkeit, aber sie wünschte sich doch auch jemanden, der mit ihr die Stille genießen wollte.
Es kam der Tag, als er bei Anna vor der Tür stand. Sie war gerade aus der Dusche geklettert, als die Klingel losging. Ein ätzendes Geräusch, wie Anna fand. Sie dachte, es sei der Postbote, der ihr schon wieder einen Mahnungsbrief des Finanzamtes überreichen wollte. Und wie immer sagte sie ihm, er solle doch bitte rauf kommen und mit ihr eine Zigarette genießen. Der einzige Kontakt zur Außenwelt, den sie pflegte. Aber plötzlich sah sie dieses kantige, ernste Gesicht ihres Nachbarn. Und das Einzige, was er tat, war ihr ein Lächeln zu schenken bevor er sie ins Schlafzimmer schob und anfing, sie zu küssen. (Das, was danach geschah, überlassen die Autoren der Fantasie der Leser und Zuhörer ;)).
Das war das erste Mal, wo sich die beiden begegnet sind. Es war das erste Mal, dass Anna Kontakt zu einem Mann hatte, aber es war ein gutes Gefühl. Sie fühlte sich gewollt, anerkannt. Die Oberflächlichkeit dieses Tages war interessant. Es dauerte sechs Monate, als Anna begann, nachzudenken. Sie fühlte sich wie eine Göttin. Es schien, als hätte der Mann von nebenan sie verändert. Sie fühlte sich neu. Auferweckt. Geliebt. Noch nie zuvor hatte sie Gefühle dergleichen verspürt. Sie wurde verändert. Anna verliebte sich. Zwar kann sie die Emotionen nicht nachvollziehen oder beschreiben, aber es tat gut.
Der Mann hieß Robin. Ein passender Name, wie Anna fand. Und irgendwann kam dieser Robin und fragte sie, was denn jetzt eigentlich ihr Ziel sei. Wie solle es weitergehen. Sie sagte nur, dass alles perfekt sei. Und Robin fragte sie nach einer festen Beziehung. Und so kam es auch. Es lief bestens. Anna schien ihren Menschenhass überwunden zu haben, die beiden zeigten sich gemeinsam in der Öffentlichkeit, sie lernte neue Menschen kennen, mit denen sie sich sogar anfreundete. Er kaufte ihr alles, was sie wollte, und auch das, was sie nicht wollte, denn er hatte ja das Geld. Woher er sein Geld hatte, wollte er nie sagen. Aber es war Anna egal. Sie war glücklich.
Ihr 21. Geburtstag. In der Früh um 6 Uhr kam Robin zu ihr ans Bett und das „einzige“, was er ihr schenkte war ein Autoschlüssel. Er küsste sie und erklärte ihr sein Geschenk. Sie solle zu der im unten parkenden Auto angegebenen Adresse fahren. Der Mercedes, der hinter seinem Porsche stand, gehörte ab heute ihr. Und ihr Freund sagte ihr, dass sie am Zielort ab jetzt gemeinsam wohnen werden. Er habe ein Haus gekauft. Anna begann sich zu schminken, zog ihr schönstes Kleid an, suchte sich die passende Tasche und fuhr dann los. Am Haus angekommen konnte sie ihren Augen kaum trauen. Es war eine Villa. Nein. Mehr als eine Villa. Es war ein Schloss. Und im Garten des Schlosses fand sie dann die größte Hausparty ihres Lebens. All ihre Freunde waren gekommen. Es war perfekt dekoriert, in ihren Lieblingsfarben.
Es verstrich etwas Zeit und sie begann zu hinterfragen, mit was sie das alles hier verdient habe. Und je länger sie nachdachte und an ihrem Wein nippte, überrollte sie die Wärme Gottes. Und sie verstand, dass er nie weggewesen war, sondern sie immer beschützt hatte. Und belohnt wurde sie auch, obwohl sie sich von Gott entfernt hatte. War sie zu ihm zurückgekehrt? Hatte sie ihre innere Leere nun wieder mit Gottes Liebe gefüllt? Ja, vielleicht. Oder zumindest in Teilen. Und dieses Gefühl gab ihr ein Gefühl emotionaler Stabilität. Unzerstörbaren Schutz. Der Tag verging. Der erste Geburtstag seit vier Jahren, den sie feierte. Der erste Geburtstag seit vier Jahren, an dem ihr jemand gratulierte. Ein schöner Tag. Ein Tag voller Freude. Und voller Alkohol. Und Musik, zu der getanzt wurde. Robin hatte an alles gedacht. Das Buffet war größer als Annas Kreuzberg-Wohnung. Er hatte es sicherlich nicht selbst hergerichtet, aber es war da. Es schien perfekt zu sein.
Doch plötzlich kippte die Stimmung, und zwar in dem Moment, als der beste Freund von Robin, der tatsächlich sehr tief ins Glas geschaut hatte, zu Anna kam und ihr mit trockenem Ton erzählte, was er gerade gesehen hatte. Robin wurde mit einer anderen gesehen. Am Pool. Und Anna fragt nach. Ob es nur ein Witz sei, denn es kann doch fast nicht sein. Sie vertraute ihm doch. Aber das Leben bestätigt es einem wieder und wieder. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Sie wollte ein Bild. Und auch das hatte der Kerl. Die Aufnahme war unscharf, aber man konnte die beiden sehen. Aneinander gekuschelt wie in einem dieser grauenvollen Liebesfilme, die zu 90 Prozent aus Kitsch bestehen.
Was würden wir an ihrer Stelle tun? Vermutlich würden manche ähnlich wie sie reagieren. Andere wieder ganz anders. Jeder von uns hätte spontan entschieden. Ruhig geblieben wäre wohl keiner. Verständlich.
Anna hatte schon einige Gläser intus. Und sie trank weiter. Und weiter und weiter. Bis sie nicht mehr konnte. Bis sie nicht mehr wusste, wo sie war. Wer sie war. Warum sie war. Sie fragte sich, ob das Gott war. Ob das dieser barmherzige Gott war, der ihr einfach abermals den Rücken zukehrt. Sie zerstört. Und plötzlich sah sie es wieder. Das gutaussehende, kantige Gesicht ihres Nachbarn. Er war wieder da. Was er getrieben hatte, wussten zu diesem Zeitpunkt schon alle. Er selbst schien es zu bereuen. Robin ging auf Anna zu. Er wollte sich entschuldigen. Doch Anna wusste, was passiert. Nahm das Messer von der Brotplatte. Es kochte in ihr. Sie war so enttäuscht und wütend, dass sie nicht nachdachte, sondern aus ihren Emotionen heraus handelte. Und sie stach Robin direkt ins Herz. Der erste Stich. Sie stach nicht nur einmal. Es waren zehn Stiche. Aus Wut. Aus Wut auf Robin. Auf Gott. Und auf sich selbst. Sie bereute es, Robin vertraut zu haben. Sie bereute es, Gott wieder zugehört und vertraut zu haben. Sie wollte die Zeit zurückdrehen. Doch das ging nicht. Es war zu spät. Und da kehrte sie zurück. Die verlorene, einsame, gefühlskalte Anna aus der Wohnung in Kreuzberg. Ende.
Von Anonymus 3 und Anonymus 4
3. Jeder kann zum Mörder werden
SEEONER AKTUELLE:
Truchtlaching, 3.7.2023
Er galt als Politikneuling und Shootingstar, David Wimmer, 20 Jahre alt und schon Landtagsabgeordneter der SPD. Doch nun soll der beliebte Sozialdemokrat am Tod von Tom Huber Schuld sein.
Ich bin hier vor Ort bei der Wohnung und Geburtsstätte David Wimmers. Durch die Beschäftigung mit seinem Werdegang seit 2020 hoffe ich, darüber aufklären zu können, warum es zur Anklage im Juli 2023 kam.
David Wimmer, geboren am 30.1.2002 ist in sehr guten familiären Verhältnissen in Truchtlaching aufgewachsen. Der genau Standort darf aus Datenschutzgründen nicht genannt werden. Seine Eltern, überzeugte Sozialdemokraten, erzählen mit Stolz, dass er schon in jungen Jahren großes Interesse an Politik gezeigt habe. Als er nach der vierten Klasse auf das Johannes-Heidenhain-Gymnasium in Traunreut wechselte, machte er relativ schnell Bekanntschaft mit Tom Huber. Im Jahr 2020, als er gerade die 11. Klasse besuchte, trat er den Jusos (SPD) bei.
Ich spreche nun mit Herrn Weber, David Wimmers ehemaligem Sozialkunde-Lehrer.
SEEONER AKTUELLE: Herr Weber, wie war David als Person, war er ein guter Schüler oder eher schwierig?
Weber: David war mein bester Schüler. Er war immer interessiert am Unterricht, arbeitete mit und brachte selbst mich durch seine Denkansätze ins Grübeln. Als das JHG den Parteikennenlerntag anbot, nahmen Tom und David mit Begeisterung teil.
SEEONER AKTUELLE: David besuchte wohl die SPD! Wen wählte Tom?
Weber: Natürlich tat er das. Auch für Tom stand sofort fest, dass er zur CDU will. Ja die beiden waren einfach Vorzeigeschüler, die für Politik brannten.
SEEONER AKTUELLE: Wissen Sie, wie es nach dem Programm weiterging?
Weber: Aber sicher, David hat mir alles erzählt. Er bekam ein Angebot von der SPD, nach dem Schulabschluss bei ihnen beizutreten. Tom bekam das gleiche von der CDU.
SEEONER AKTUELLE: Vielen Dank für diese Informationen Herr Weber.
Die Nachbarn von David berichten, dass er seinen 18. Geburtstag sehr human gefeiert habe. Der Lautstärkepegel sei nicht über 80 Dezibel gewesen. Es seien rund 20 Gäste vor Ort gewesen und zur Feier des Tages war ein Kasten Radler getrunken worden. „David ging Drogen immer bewusst aus dem Weg“, erzählen seine Eltern.
2021 ist für den jungen Mann ein besonderes Jahr. Er schließt die Klausurenphase überdurchschnittlich gut ab, weshalb das JHG ihm und auch seinem Freund Tom ein Parteikennenlernprogramm anbietet. David besucht die SPD in Berlin, Tom die CDU. Die SPD ist ihrerseits begeistert vom Engagement des Schülers und stellt ihm einen Job nach dem Abitur in Aussicht. Gleiches erreicht Tom bei der CDU. Vor allem Davids Eltern freuen sich sehr über das Angebot. Bald darauf lernt er Tanja kennen, mit welcher er zwei Wochen später eine Beziehung eingeht. Auch davon sind seine Eltern begeistert und garantieren ihre Unterstützung. Mitte des Jahres erreicht er die Allgemeine Hochschulreife mit einem Schnitt von 1,4. Im September tritt David der SPD bei, das gute Verhältnis zu Tom bleibt trotz der Parteiunterschiede bestehen. Doch an seinem 19. Geburtstag kommt David das erste Mal in den näheren Kontakt mit Drogen, zunächst mit einem „Gelegenheitsbier“, bald darauf Schnupftabak. Nichtsdestotrotz beginnt der junge Mann die Karriereleiter zu erklimmen und auch die Beziehung zu Tanja und zu seinen Eltern läuft gut.
Im Jahr 2022 kann David seine außerordentlichen rhetorischen Fähigkeiten beweisen, wodurch er viele erfahrenere Politiker in den Schatten stellt. Nachdem auch Tanja der SPD beitritt, fühlt sich das Paar einander noch näher. Außerdem zieht er in die Wohnung über seinen Eltern, um diesen weiterhin nah zu sein. Zudem hat er regelmäßigen Kontakt zu Tom Huber, da dieser der CDU beigetreten ist und sich oft in der Nähe Traunreuts aufhält. Dort treffen sich die beiden häufig und führen ein sehr harmonisches Verhältnis. Tom lehnt, im Gegensatz zu David, Drogen völlig ab, während letzterer an seinem 20. Geburtstag das erste Mal mit Marihuana in Berührung kommt. Tanja, die kurz zuvor bei David eingezogen ist, kritisiert Davids Umgang mit Drogen stark, weshalb es zum ersten Streit kommt, wovon seine Eltern jedoch nichts erfahren.
2023 wird David Landtagsabgeordneter, womit er den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Wie andere SPD-Abgeordnete auch, setzt er sich für die Legalisierung von Marihuana in Deutschland ein. Dadurch kommt es zu Differenzen mit Tom, der nun Landesdrogenschutzbeauftragter ist. Allerdings legt sich der Streit schnell. Trotz dessen nimmt David nun regelmäßig „Gras“ und die Eltern bekommen weitere heftige Streits zwischen Daniel und Tanja mit. Im April desselben Jahres trennt Tanja sich von David, woraufhin dieser einen mentalen Zusammenbruch erleidet. Ein paar Tage später hat er sich wieder beruhigt, zieht zurück ins Erdgeschoss zu seinen Eltern und knüpft an das gute Verhältnis mit ihnen an. Im weiteren Verlauf des Jahres wird David zu einer kleinen Berühmtheit, da er aufgrund seines Einsatzes für die Legalisierung von Marihuana beliebt bei vielen Jugendlichen ist. Auf politischen Veranstaltungen kommt er auch deswegen gut an, gerät im Mai jedoch vor anderen Abgeordneten in eine heftige Diskussion mit. Dabei kommt es auch zu Handgreiflichkeiten. Obwohl sogar die Polizei einschreitet, um die Streithähne zu trennen, provoziert Tom David nun öffentlich über die sozialen Medien. Von 10.-12. Juni ist David für zwei Tage verschwunden. Am 14. Juni wird Tom als vermisst gemeldet. David taucht in der darauffolgenden Zeit nicht bei der Arbeit auf. Erst am 30. Juni wird Tom tot im dichten Gebüsch des Alz-Ufers mit einer Platzwunde am Hinterkopf gefunden. Nur ein erloschener, nasser Joint lag am Ufer. Nichts wies auf einen möglichen Täter hin und auch eine Tatwaffe konnte nicht gefunden werden. Mitglieder der CDU stellen daraufhin die Theorie ins Netz, dass David Tom getötet habe, da die beiden jungen Männer zur gleichen Zeit bei der Arbeit fehlten. Davids Vorgesetzte schicken daraufhin die Polizei zu seinem Haus, um nachzusehen, wieso dieser nicht bei der Arbeit gewesen war. Er sagt aus, dass er eine Erkältung habe und sein Handy kaputt sei. Zufällig finden die Ermittler jedoch einen Gegenstand in Davids Zimmer, der sich später als die Tatwaffe herausstellt. Am 1. Juli 2023 wird David des Mordes an Tom Huber angeklagt.
Von Anonymus 5 und…
4. Der Fall von Claudia Rodes
Traunstein, den 20.04.2023
Fall: Mord an Claudia Rodes
Angeklagter: Markus Ruth
Der Angeklagte ist zum heutigen Termin in Begleitung seines Anwalts Alexander Holz erschienen.
Markus Ruth, geboren am 11.09.2003, ist wegen Mordes an Claudia Rodes, geboren am 01.08.2003, angeklagt. Das Opfer ist am ersten Januar diesen Jahres, auf dem Weg ins Krankenhaus, verstorben.
Die Tat hatte im Oktober des Jahres 2020 ihren Ursprung. Zu dieser Zeit besuchte Markus die 12.Klasse des Herzheimer-Gymnasiums in Trostberg. Die Familie befindet sich in einer guten wirtschaftlichen Lage. Der Vater ist als Pilot bei der Lufthansa angestellt, die Mutter übt den Beruf der Industriekauffrau bei Heidenhain in Traunreut aus. Seine Schwester, die zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt war, besuchte die sechste Klasse der Trostberger Realschule.
Markus bewarb sich im besagten Jahr für mehrere duale Studiengänge bei großen Firmen wie BMW, Audi und Heidenhain. Unter anderem weckte ein Vortrag der Bundeswehr an der Schule zusätzlich sein Interesse an der Tätigkeit als Soldat. Außerdem verbrachte Markus seine Freizeit unter anderem mit dem Spielen von sogenannten „Ego Shootern“ wie „Call of Duty“ mit seinem Freund Nik, der bereits als Soldat bei der Bundeswehr tätig war.
Im Juni 2021 erlangte Markus seine Allgemeine Hochschulreife mit einem Notenschnitt von 1,9. Während der Vorbereitungsphase auf das Abitur erhielt er sowohl eine Absage von BMW als auch eine der Firma Heidenhain. Heidenhain begründete die Absage damit, dass seine Mutter im gleichen Betrieb arbeite, BMW hatte in diesem Jahr aufgrund der Corona-Krise von der Einstellung neuer dualer Studenten*innen abgesehen. Auf die Zusage von Audi hingegen kam er nicht zurück, da er nun eine Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr anstrebte.
Nach dem Abitur unternahm der Angeklagte häufig etwas mit seinen Freunden, unter anderem eine Reise nach Amsterdam. Dort kam er zum ersten Mal in den Kontakt mit synthetischen Betäubungsmitteln. Näheres ist dazu nicht bekannt. In der folgenden Zeit hielt Markus sich immer weniger Zuhause auf. Er gibt an, viel auf Partys oder am Waginger See gewesen zu sein. Dort lernte er seine damalige Freundin Claudia Rodes kennen, die zu der Zeit 17 Jahre alt war und eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten in Traunstein absolvierte.
Im September desselben Jahres nahm er den Dienst bei der Bundeswehr auf und war trotzdem fast jedes Wochenende in seiner Heimatstadt. Die Zeit dort verbrachte er jedoch nicht Zuhause, sondern hielt sich zumeist bei seiner Freundin auf. Aus diesem Grund hatte er nur wenig Kontakt zu seinen Eltern.
Im Februar 2022 erhielt Markus Ruth das Angebot für ein Studium bei der Bundeswehr unter der Bedingung, sich zu 12 Jahren und zwei Auslandsaufenthalten verpflichten zu lassen. Den entsprechenden Vertrag unterzeichnete er wenige Wochen später, ohne, dass seine Familie oder Freundin etwas davon mitbekommen hätten. Er tritt im Mai erstmalig seinen Dienst an. Sein erster Einsatz führt ihn nach Malta, wo er erkennt, dass der Beruf eines deutschen Soldaten nicht dem in Videospielen entspricht, sondern vorwiegend aus Büroarbeit besteht. Bei einem routinemäßigen Kontrollgang wird ein Kamerad von Markus vor dessen Augen schwer verletzt. Nach diesem Vorfall leidet Markus unter schweren Depressionen, sodass er die Psychologin Valentina Klein, die an seinem Einsatzort stationiert war, des Öfteren aufsucht. Aus diesem medizinischen Verhältnis wurde bald eine sexuelle Beziehung. Der Seitensprung des Angeklagten führte zur Trennung von Claudia.
Zu Weihnachten sah er seine Familie das erste Mal nach seinem Aufenthalt im Ausland. Bei diesem Treffen kam es zu diversen Auseinandersetzungen. Seine Schwester, die in engem Kontakt mit Claudia stand, warf ihm vor, der alleinige Trennungsgrund gewesen zu sein. Sein Großvater mütterlicherseits zeigte sich wegen der langen Funkstille zwischen seinem Enkel und der Familie sehr enttäuscht. Er denke dabei des Öfteren an Claudia, die der Auslöser für das Problem gewesen war.
Am 01.01.2023 kam es um 03:14 Uhr zur eigentlichen Tathandlung. Der alkoholisierte Angeklagte lauert Claudia auf ihrem Heimweg von einer Feier auf, befriedigt seinen Geschlechtstrieb und sticht anschließend mit einem Messer mehrmals auf sein Opfer ein.
Laut §211, StGB hat Markus die Tatbestandsmerkmale von Mord erfüllt, Außerdem ist §178 rechtskräftig.
Die Staatsanwaltschaft sieht deswegen eine lebenslange Freiheitsstrafe für Markus Ruth vor.
Von Anonymus … und Anonymus …