Flüchtlingshilfe
Jenseits der Statistiken: „The Game - Spiel zwischen Leben und Tod“
An der bosnisch-kroatischen Grenze dreht sich alles um den illegalen Gang über die EU-Außengrenze. Filmemacherin Manuela Federl zeigt, wie dabei neben Schleppern auch die Polizei, internationale Organisationen und viele weitere Spieler mitmischen und wie unerträglich die Situation der Flüchtlinge ist.
Die 11. Jahrgangsstufe ist in der Aula versammelt. Mit Spannung werden die einleitenden Worte des P-Seminars Sozialkunde erwartet, die für ihre Mitschüler*innen eine Filmvorführung organisiert haben. Um Hintergrundinformationen zum Thema zu liefern, wurde für die Stufe eine kurze Präsentation erarbeitet, die auf den folgenden Film vorbereitet.
Der Dokumentarfilm „The Game“ der Regisseurin Manuela Federl wurde von den Mitgliedern des P-Seminars, in dem es um das Thema Flucht und Migration geht, bereits im Unterricht angeschaut. Nachdem sich alle einig waren, dass der Film dieses wichtige Thema unglaublich eindrucksvoll darstellt, wurde beschlossen, der restlichen Jahrgangsstufe diese Dokumentation nicht vorzuenthalten.
2020 gründen Bernd Karmann und Manuela Federl, welche auch die Regisseurin dieses Films ist, den Verein Lautlos e.V., um einen Hilfstransport nach Bosnien durchzuführen. Dabei soll die Botschaft vermittelt werden, dass jeder einzelne etwas dazu beitragen kann, die Situation der Menschen dort zu verbessern. Die Reise geht nach Bihac, einer Stadt im Nord-Westen Bosnien-Herzegowinas. Dort wird mit Zlatan Kovacevic zusammengearbeitet, dem Leiter von SOS-Bihac, einer Organisation, die sich bemüht, Flüchtlingen nach illegalen Pushbacks (= Zurückweisung von Flüchtenden an der Grenze) bei Verletzungen, Hunger oder auch Erschöpfung Hilfeleistungen zu ermöglichen. Bihac dient vielen Flüchtlingen als Ausgangspunkt, um über die 15km entfernte kroatische Grenzen nach Kroatien zu gelangen. Die Organisation fährt täglich Straßen ab, um die Menschen nach einem Pushback zu unterstützen. Sie leisten medizinische Nothilfe, verteilen Wasser und Nahrungsmittel, um Dehydrierung und Unterzucker entgegenzuwirken. Auch Kleidung wird ausgegeben, um die Menschen notdürftig versorgen zu können. Der illegale Gang über die Grenze ist ein Spiel - ein GAME - zwischen Leben und Tod und die Situation der Menschen dort ist viel schlimmer als gedacht. In der Dokumentation werden an dieser Stelle mehrere Aufnahmen von Verletzungen, die den Flüchtlingen zugefügt wurden, gezeigt. Manuela Federl und ihr Team entscheiden sich dazu, ihren Aufenthalt zu verlängern, um mit mehr Menschen näher in Kontakt zu kommen. Bei einer Begegnung mit einem jungen Flüchtling zeigt dieser seinen Schlafplatz. Wie viele Flüchtlinge lebt auch er nach einem Pushback in einer Ruine. Die Zimmer sind windig und kalt und es leben dort viele Menschen auf engstem Raum, unter menschenunwürdigen Zuständen zusammen. In einigen Gebäuden leben auf weniger als 5 Stockwerken mehr als 150 Menschen zusammen. Oft teilen sich deswegen mehr als 10 Menschen einen kleinen Raum. Auch gibt es Fälle, bei denen alles Hab und Gut der Menschen nach einem misslungenen Versuch, die Grenzen zu überqueren, verbrannt wurde. Viele der Menschen, auch Familien mit Kindern, versuchen es dabei bereits zum 20.-30. Mal. Zehida Bihorac, eine ehrenamtliche Flüchtlingshelferin, berichtet über einen illegalen Flüchtlingsspot in einer Lagerhalle in Velika Kladusa. Sie erzählt, die Menschen dort hätten keine Rechte, wären aufgrund unhygienischer Bedingungen oft sehr krank, haben aber kein Anrecht auf medizinische Versorgung. Sie fragt sich, warum Europa diese Menschen nicht sehen und ihnen nicht helfen will. Sie weiß, dass sich viele, vor allem auch jüngere Menschen, dort Arbeit und eine sichere Zukunft erhoffen. In demselben Ort wird ein weiteres illegales Camp im Wald, der sogenannte „Jungle“, besucht. Die Menschen dort leben teilweise zu siebt in kleinen Zelten, nur einige wenige von ihnen besitzen Schlafsäcke. In der Dokumentation gibt es an dieser Stelle einen Schnitt. In der nächsten Szene führt Manuela Federl ein Interview mit zwei Menschenhändlern, die ihre Intentionen für diese Straftat schildern. Sie sagen, dass sie es in erster Linie für Geld tun. Beide wollten niemals etwas Schlechtes, sondern haben gesehen, dass sie diesen Menschen gegen gutes Geld helfen können, über die Grenze zu gelangen. Einer gibt an, schon mehrfach von der Polizei erwischt worden zu sein, weswegen er natürlich als Straftäter vorgemerkt ist. Trotzdem möchte er nicht aufhören, in diesem Bereich tätig zu sein. Die Frage, wo die Menschlichkeit in solchen Situationen bleibt, stellt sich die ganze Zeit über. Nicht nur, dass es für viele Flüchtlinge oft schwierig ist, nach einem Pushback wieder einen Schlafplatz zu finden, da die alten Plätze dann meist schon belegt sind, es gibt sogar das Verbot, den Menschen in den illegalen Camps zu helfen.
Bei einer Wanderung durch den Wald wird vom Bosnienkrieg berichtet, welcher der schlimmste Krieg nach dem 2. Weltkrieg gewesen ist. In vielen Waldabschnitten sind deswegen immer noch zahlreiche Minen vorzufinden. Viele Minenfelder wurden nie geräumt, was eine große Gefahr für die Flüchtlinge darstellt. Um auch den Standpunkt der Bevölkerung des Landes kennenzulernen und zu verstehen, besucht Manuelas Team eine Anti-Flüchtlings-Demonstration, in welcher eine große Unzufriedenheit mit der Politik und auch dem Umgang mit der Flüchtlingssituation deutlich wird. Die lokale Bevölkerung fürchtet, die Flüchtlinge könnten ihnen etwas wegnehmen. Gezeigt wird auch ein ehemaliges Flüchtlingscamp in Lipa. Es gibt dort keinen Wasser- und Elektrizitätsanschluss und das Camp ist von der Organisation, die das Camp ursprünglich errichtete, verlassen worden. 2020 brannte das Camp aus und trotzdem leben dort immer noch unzählige Flüchtlinge. Es kommt zu einer Begegnung mit Vahid, einem jungen afghanischen Flüchtling, der trotz der furchtbaren Erlebnisse hoffnungsvoll ist und gerne und viel lacht, und mit einer jungen afghanischen Frau mit ihren Kindern. Seit knapp zwei Jahren ist sie auf der Flucht von Afghanistan nach Bosnien. Vorgestellt wird außerdem Gerhard, ein deutscher Arzt, der trotz fehlender Erlaubnis Flüchtlinge behandelt. Er selbst war schon in vielen Flüchtlingscamps und erklärt, dass viele der Menschen an Hautkrankheiten oder Atemwegserkrankungen leiden, Hundebisse und Traumata haben. Die Menschen leben unter menschenunwürdigen Umständen – ein Versuch der europäischen Regierungen, die Menschen zurückzuweisen. Viele Pushback-Berichte enthalten Aussagen über schwarz gekleidete Männer an der Grenze, die den Menschen allen Besitz abnehmen und sie grausam foltern. Um den Flüchtlingen zu helfen, verteilt der Verein Lautlos e.V. unerlaubterweise Schuhe, Lebensmittel, Schlafsäcke, Zelte etc. Wenn die Polizei die Flüchtlinge allerdings auf dem Weg über die Grenze erwischt, wird ihnen alles wieder abgenommen und teilweise verbrannt. Um die Organisation SOS-Bihac zu unterstützen, kauft der Verein Lautlos e.V. einen komplett ausgestatteten Rettungswagen in Deutschland und gibt diesen als Geschenk an die Organisation weiter. Als Abschluss werden die Helfer und Helferinnen nach ihren Eindrücken und Meinungen zu der Situation der Flüchtlinge befragt. Alle sind wütend auf die von der Regierung betriebene Abschreckungspolitik. Für sie sollte es darum gehen, eine bessere Welt zu schaffen, allen Menschen mit Respekt zu begegnen und Vorbild für die nachfolgenden Generationen zu sein.
Auch die Mitglieder des P-Seminars beschrieben nach dem Film ähnliche Gefühle von Wut und Unverständnis. Die Dokumentation ging allen sehr nahe. Im Folgenden möchten wir unsere persönlichen Eindrücke schildern. „Warum? Diese Frage geisterte mir während des gesamten Filmes immer wieder im Kopf herum. Warum müssen diese Menschen solch ein Leid ertragen? Warum kann es Europa, das sonst als fortschrittlicher Kontinent gilt, verantworten, Flüchtende auf so grausame Weise von den Grenzen fernzuhalten? Und warum bekommt dieses Thema so wenig Aufmerksamkeit?
Menschen fliehen nicht, weil ihnen langweilig ist oder weil es ihnen Spaß macht. Sie fliehen, weil sie dort, wo sie herkommen, nicht bleiben können. Ob der Grund nun Krieg, Hunger oder Diskriminierung ist - all diese Umstände sorgen dafür, dass die Betroffenen kein menschenwürdiges Leben führen können. Wie muss es sein, in ein fremdes Land zu fliehen, in der Hoffnung, ein besseres Leben leben zu können und dann an der Grenze feststellen zu müssen, dass man auch dort nicht willkommen ist? Im Gegenteil: Die Menschen werden ausgeraubt, beschimpft, gefoltert - kurz: ihre Menschenwürde wird in keiner Weise geachtet, womit wir wieder bei dem ursprünglichen Grund ihrer Flucht wären. Und dann stehen sie da und können weder vor noch zurück. Wo ist in diesen Situationen die Menschlichkeit geblieben?
„The Game“ zeigt sehr eindrucksvoll, welche Szenarien sich an den Grenzen Europas abspielen, ohne dass wir viel davon mitbekommen. Die Einblicke, die die Zuschauer*innen in das Leben der Flüchtenden an der kroatisch-bosnischen Grenze bekommen, regen dazu an, sich mit dem Thema weiter auseinander zu setzen und die europäische Abschreckungspolitik zu hinterfragen. Menschen wie Manuela Federl und ihr Team leisten einen wichtigen Beitrag dazu, auf die Probleme der Flüchtenden aufmerksam zu machen und den Betroffenen Gehör zu verschaffen. So sehr ich auch schockiert von der Situation der Flüchtlinge bin, ich bewundere umso mehr diejenigen, die sich gegen die vorherrschende Ungerechtigkeit und Grausamkeit auflehnen und den Betroffenen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln helfen - sei es nun durch das öffentliche Ansprechen der Problematik, durch Geld- oder Sachspenden, durch medizinische Hilfe oder auch einfach durch Aufmerksamkeit, Respekt und Warmherzigkeit. Der Film hat mir gezeigt, dass wir auch in Europa noch einen weiten Weg bis zu einer gerechten Welt vor uns haben. Für mich ist das allerdings nur noch ein weiterer Ansporn, mich für diese einzusetzen. Wie man Menschen solchen Bedingungen aussetzen kann, ist für mich genauso unverständlich, wie der Fakt, dass Großteile der Bevölkerung nicht wissen, in welcher Situation sich diese Menschen befinden. Es macht mich unfassbar wütend, wie so vielen jungen Menschen Kindheit und Erwachsenen Menschen Lebenszeit und -qualität durch - meiner Meinung nach - menschliches und politisches Versagen geraubt wird. Für mich ist es unvorstellbar, wie man sich bewusst dafür entscheiden kann, Menschen ins Elend und Verderben laufen zu lassen, obwohl man weiß, dass man helfen könnte. Ich bin mir sicher, die Politik befindet sich in dieser Situation in einem Dilemma, zwischen „Willkommenskultur“ und Abschreckung. Allerdings denke ich auch, dass die Abschreckungspolitik, welche momentan betrieben wird, der falsche Weg ist. Die Gewalt, die diese Menschen erfahren müssen, ist unbegründet und unnötig. Wenn Länder der Meinung sind, dafür sorgen zu müssen, dass weniger Menschen ins eigene Land kommen, sollten Regierung und Staaten dafür sorgen, dass das Leben in den Ländern, aus welchen diese Menschen flüchten, wieder lebenswert wird. Nicht aber, dass ihre Lebensumstände noch menschenunwürdiger werden als sie es sowieso schon sind. Unfassbar großen Respekt habe ich deswegen vor Manuela Federl und ihrem Team. Wie gut und realistisch sie diese schwierige Thematik in diesem Film untergebracht haben, beeindruckt mich sehr. Dass ihr Team den Menschen dort so auf Augenhöhe begegnet ist, zeigt dem Zuschauer auf menschlicher und vor allem emotionaler Basis, wie schlecht es um die Menschen wirklich steht. Ich glaube und hoffe sehr, dass dieser Film und dabei insbesondere die Flüchtlingshelfer für alle Zuschauer ein Vorbild und Positiv-Beispiel dafür sein können, mit wieviel Respekt und auch leidenschaftlichem Engagement sich hier für die Nächstenliebe eingesetzt wird.“
Nicht nur den Mitgliedern des P-Seminars ging der Film nahe. In der anschließenden Diskussionsrunde in der Aula, in der auch Manuela Federl anwesend war, wurde deutlich, dass die Eindrücke die Q11 sehr zum Nachdenken angeregt haben. Frau Federl nahm sich, wie auch schon beim P-Seminar, Zeit, um alle Fragen ausführlich zu beantworten und von ihren persönlichen Erfahrungen bei den Dreharbeiten zu erzählen. Die Filmvorführung war für die Schüler*innen somit eine große Bereicherung.
Von Carolin Daniel und Laura Einsiedl