Rechtsruck in Europa
Ungarn: Ist die Demokratie nur Schein?
Viktor Orbán und die Fidesz-Partei in Ungarn sorgen zunehmend für Unmut und Enttäuschung unter der Bevölkerung. Trotz der sozialen und wirtschaftlichen Missstände bleibt die Regierung an der Macht, während eine neue Opposition und die junge Generation versuchen, für Veränderungen zu kämpfen.
Ungarn ist mit seinen 9,5 Millionen Einwohnern ein kleineres Binnenland in Osteuropa.
Die Fläche entspricht ca. einem Viertel Deutschlands. Ungarn ist zwar seit 2004 Mitglied der EU, hat aber trotzdem den ungarischen Forint als Währung. Die Einführung des Euros wird durch eine zu hohe Staatsverschuldung und Inflationsrate sowie eine instabile Wirtschaft bereits seit mehr als 20 Jahren verzögert. Ungarn ist deutlich preiswerter als Deutschland, das liegt aber auch an einem niedrigeren Durchschnittsgehalt. Aber nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im sozialen Bereich schneidet Ungarn deutlich schlechter ab als andere EU-Staaten. Die Lebenserwartung zeigt die Probleme der Sozialpolitik Ungarns deutlich. Ein Mann hat 2024 bei seiner Geburt eine Lebenserwartung von nur 73 Jahren. Der europäische Durchschnitt liegt bei ca. 79 Jahren. Ein totgespartes Gesundheitssystem könnte hierfür verantwortlich sein. Es gibt zu wenig Ärzte, deshalb sind Operationstermine schwer zu bekommen. Wartezeiten von mehreren Jahren sind in Ungarn längst Standard. Die Krankenhäuser sind sogar in der Hauptstadt Budapest in teils desolatem Zustand. Resultierend aus all diesen Umständen ist eine niedrige Lebenszufriedenheit der Ungarn nicht überraschend. Die Regierung der Fidesz-Partei hat wenig dagegen unternommen.
Viktor Orbán ist seit 14 Jahren Ministerpräsident von Ungarn. Er ist Vorsitzender der Fidesz-Partei, diese gilt als nationalkonservativ und rechtspopulistisch. Die Partei ist besonders für ihre ablehnende Migrationspolitik und die Betonung der nationalen Souveränität bekannt. Durch die Zweidrittelmehrheit kann die Regierung Gesetze schnell einführen bzw. abschaffen. So wurde beispielsweise das Arbeitslosengeld von 100 % auf 60 % des Mindestlohns und die maximale Beziehungsdauer von neun auf drei Monate gekürzt. Zum Wählerstamm zählt hauptsächlich die ältere Bevölkerung. Die aktuelle Regierung der Fideszpartei und der Kereszténydemokrata Néppárt (KDNP, deutsch: Christlich-Demokratische Volkspartei) versuchen durch eine auf den älteren Teil der Bevölkerung abgestimmte Politik diese für sich zu gewinnen. Die jüngeren Generationen halten nicht viel von Orbán. 2021 hat er ein Gesetz zur Beschränkung von LGBTQ-Aufklärungsprogrammen eingeführt. Dies hat die Abneigung gegenüber Orbán bei vielen jungen Ungarn zusätzlich verstärkt.
Budapest, Ungarn
Aus diesen Gründen gewinnt die Opposition mittlerweile immer mehr an Macht. Der 42-jährige Peter Magyar, Chef der neuen Tisztelet és Szabadság Párt (zu Deutsch: Respekt- und Freiheitspartei), mischt seit ca. zwei Jahren im politischen Geschehen mit. Seine Partei wird eher als Mitte bis rechts eingestuft. Der Ex-Jurist macht vor allem bei der jungen Bevölkerung Stimmung gegen die Fidesz-Regierung. Zu Demonstrationen des ,,Messias“, wie sie ihn nennen, kommen mehrere zehntausend Menschen. Mit Aussagen wie „Seit unserem EU-Beitritt vor 20 Jahren sind Zehntausende Milliarden Forint an EU-Mitteln in unser Land geflossen und was ist aus uns geworden? Wir sind das zweitärmste Land der EU und das allerkorrupteste“, spricht Magyar vielen Ungarn aus dem Herzen. Das sieht man auch an den Ergebnissen der Europawahl 2024. Magyars Partei holte aus dem Stand knapp 30 Prozent. Fidesz hingegen nur 44 Prozent, dies ist das schlechteste Wahlergebnis seit Langem.
Die Ungarn haben die Fidesz-Regierung satt, die meisten fangen an zu verstehen, wie schlecht es dem Land wirklich geht.
Ich habe vergangenes Jahr am Erasmus+ Austauschprogramm mit Ungarn teilgenommen und dort die Jugendlichen über ihre Zukunft befragt. Fast alle möchten Ungarn verlassen und beispielsweise in Österreich oder Deutschland studieren und dort später einen Job finden. Dies ist aber nicht so einfach, da ein durchschnittliches Gehalt nicht für eine Auswanderung ausreicht.
Umgekehrt wandern viele rechtsorientierte Deutsche nach Ungarn aus, da sie dort von ihrem Ersparten gut leben und sich hier mit Orbáns Politik identifizieren können. Besonders viel Zuspruch erhält die ungarische Asylpolitik, die scharf gegen Migration vorgeht.
Wir in Westeuropa bekommen von der schlechten Lage in Ungarn wenig mit, da die Presse- und Meinungsfreiheit nur auf dem Papier existiert. So gelangen fast keinerlei Anti-Orbán-Nachrichten in andere Länder.
Die EU weiß mittlerweile über Orbáns Pläne Bescheid. Er bereichert sich und seine politischen Freunde mit den EU-Geldern. Nun hat die EU die geplanten Zahlungen eingefroren. Bis Ende 2024 hatte Ungarn Zeit, bestimmte Auflagen zu erfüllen. Es wurde eine Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit gefordert, die z.B. eine unabhängige Anti-Korruptionsbehörde und Justiz beinhaltet. Ungarn hielt sich jedoch nicht an diese Frist und versucht jetzt durch einen chinesischen Kredit sein Finanzloch zu stopfen.
Ungarn stellt sich bei Entscheidungen innerhalb der EU immer wieder dagegen und blockierte beispielsweise die Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland.
Auch während seiner EU-Ratspräsidentschaft nutzte Orbán sein Amt aus, um seine persönlichen anstatt der europäischen Interessen zu vertreten.
Aber wie sieht es mit der Zukunft aus?
2026 gibt es wieder eine Wahl in Ungarn. Orbán bereitet sich und sein Land schon darauf vor. Er betreibt sogenanntes „Gerrymandering“. So nennt man die Verschiebung von Wahlkreisgrenzen, um die Chancen auf den eigenen Sieg zu maximieren.
Es bleibt weiterhin spannend. Wir können nur hoffen, dass die ungarische Bevölkerung gegen Orbáns Korruption ankämpfen kann, um so die demokratische Zukunft Ungarns zu sichern.
Von Julie Steiner